Galeeren und Lastsegler, kleine und große Kauffahrer durchpflügten das mare nostrum. Das Mittelmeer zur Zeit der römischen Kaiser. Zwischen dem kornreichen Afrika und der Millionenstadt Rom herrschte reger Schiffsverkehr. Umschlagplatz des Getreides für die nimmermüde und immerhungrige Stadt war Ostia. Unweit von deren Reede lagen weitere Marinebasen, in denen das Imperium Kriegsschiffe vorhielt und Ausrüstung, damit die vitalen Versorgungswege auf See geschützt werden konnten. Auf die Spuren dieses Aspekts römischer Mittelmeergeschichte stießen wir bei unserem Chartertörn 2006.Wir besegelten die Region südlich von Ostia. Ausgangshafen war Gaeta. Kein Tagestörn südwestlich erhebt sich Ventotene, eine heute malerische Insel. In den weichen Tuffstein des Eilandes gruben die Sklaven der Römer geräumige Lagerhallen. Auf dem Quai wurden die Kriegsschiffe aus dem Arsenal heraus beladen und ausgestattet. Bug an Bug, Rammsporn an Rammsporn lagen die Ruderer zusammengehalten wie Blütenblätter einer Margerite im Kreis. Dieses platzsparende Hafensystem hatte Rom von seinem Erzfeind Karthago abgeschaut. Tauwerk, Blöcke, Riemen, Pech, Segeltuch, Waffen, Amphoren mit Lebensmitteln, alles wurde aus dem Lager bei Bedarf auf die auszurüstenden Holzschiffe geschleppt. Dieses Marinearsenal ist heute noch vorhanden. Allerdings nutzen die Fischer die Lagerräume für ihre Zwecke und bunt sind die Verschlagtüren in der Manier des Mittelmeeres angemalt.

Doch Schritt für Schritt, Schlag für Schlag sozusagen. Für den Nachmittag unserer Einschiffung war eine Windzunahme gemeldet. Wir hielten die Nase also in den Wind und tasteten uns bei Beaufort 4 aus dem Hafen. Das ist ein äußerst angenehmer Wind für den ersten Tag. Mit jeder Seemeile Abstand vom pittoresken Gaeta nahm der Wind zu. Erst auf 25, dann auf 30Knoten. Wir merkten, wir kamen aus der Landabdeckung. Also wurde ein Reff ins Großsegel gesteckt. Die Genua, eine komfortable Rollanlage ließ sie leicht beherrschen, wurde um ein Drittel eingerollt.
Doch Rasmus wollte es uns so richtig zeigen. In 7sm Distanz zur rettenden Küste blies er aus geblähten Lungen. Die See baute sich mächtig hinter uns auf. Ich schätzte mich glücklich angesichts all der Segelanfänger an Bord, dass er uns von hinten in die Segel blies. Ein Hoch-am-Wind-Kurs wäre gleich zu Beginn noch bedrohlicher erschienen. Doch drei Meter stiefen die Wellen jetzt schon hinter uns auf und drohten uns zu verschlingen. Aufpassen und Kurs halten, sagte ich mir. Und gleichzeitig die jungen Seeleute beschäftigen und ablenken. Beim Blick in die Gesichter konnte ich unschwer ihre unterschiedlichen seelischen Konstitutionen erkennen. Doch dann zeigte der Windmesser 7 Bf an. Zeit für ein weiteres Reff. Die Schnauze in den Wind zu stecken, ist die einzige Möglichkeit, das Groß zu reffen
. Die Halse mit viel Gefühl gelang noch ganz gut. Doch jetzt hielt sich das Schiff mit Maschinenunterstützung auf der Stelle im Wind und die Höhe der Seen ließ uns Bergundtalbahn fahren. Erstaunlich, dass nach so einem geringen fetch von 10sm sich eine solche See aufbauen kann. Mit Sicherheitsgurt um Leib und zwischen den Beinen durch musste ich an den Mast. Die Stimme trug kaum bis in Cockpit. Die größte Schwierigkeit schein mir zu sein, die eingeschliffenen Seglertermini Laien zurück zu übersetzen, die noch nicht einmal einen Segelroman gelesen, geschweige denn ein Ausbildungsbuch in der Hand gehabt hatten. Ich kann diese Zeilen aufschreiben, folglich ist alles gut gegangen. Das Reff wurde eingesteckt, die Genua brachte uns wieder auf Kurs, das Pferdchen zog und wir näherten uns danach mit perfekt getrimmtem Schiff und geborgen wie in Abrahams Schoß der gr0ßzügigen Reede von Ponza. Die Isole Ponziane sind eine kleine Inselgruppe aus vier Eilanden auf der Breite von Neapel. Die Stadt Ponza verfügt über Stadthafen, Marina und eine Bucht, die sich als Reede eignet. Kreuzfahrtschiffe, auch Viermaster liegen ein wenig außerhalb, wo der Ankergrund rein ist, denn viele Felsdolmen und kleine Inselchen ragen in Sichtweite der Bucht aus dem Wasser. Auch bekannte Schiffsnamen konnten wir durchs Glas erkennen. Uns aber stand der Sinn nach einem ruhigen Ankerplatz für die Nacht. So fuhren mit Blick auf den Tiefenmesser in der aufgewühlten Bucht herum und fanden schließlich die Stelle, die mir geeignet schein. Das Grundeisen fiel. Das Dinghi wurde betriebsbereit gemacht. Den Außenborder hinunter zu reichen, das ist keine einfache Sache, wenn das Gummiboot mal auf der Höhe des Unterwasseranstrichs und mal auf Reelingshöhe ist. Doch ohne ihn zu versenken gelang auch dies. Und er sprang auch noch an, ich brauste zum Hafen davon wie ein Pferdeflüsterer, der ein Seepferd einreitet.
Die Nachricht, die ich zurück brachte, lautete, wir dürfen im Stadthafen anlegen, aber Morgen, wenn die Fähre kommt, müssen wir wieder weg sein. Das kam der Mannschaft sehr gelegen, die zwar die Lage der malerischen Häuser über uns bewunderte, die aber dennoch vorhersahen, dass sie in diesem unruhigen Gewässer in der anstehenden Nacht nicht ein Auge zu tun würden. So machten wir also eine halbe Stunde später dankbar im Stadthafen
von Pona fest. Oder ehrlich gesagt, wir versuchten fest zu machen. Denn während unser Nachbarskipper, ein braungebrannter Mittzwanziger, barfuß, dreitagebärtig und sofort alle Blicke meiner weiblichen Crewmitglieder auf sich ziehend, seinen 20m Luxussegler einhändig und mit bravourösem Schwung römisch-katholisch an die Pier brachte, gelang uns das mit zehn Hände nicht. Immer wieder slippte der Anker sobald wir die Kette ein wenig strammer holten, damit unser Heck von der Betonpier den erforderlichen Anstandsabstand einhielt. So neugierig die ersten Sehleute herzugeeilt waren, um das Spektakel zu sehen, so gelangweilt wandten sie sich nach unserem fünften Versuch ab. Diese Langweiler, gehen wir lieber einen guten Roten trinken.
Irgendwann lagen auch wir fest. Die Planke wurde auf die Pier gelegt. Die Pizzaria fünf Meter gegenüber unserer Gangway hatte auch noch eine halbwarme überteuerte Maffiaorte für uns und sanken nach Mitternacht, zurückgekehrt an Bord, in einen tiefen Schlaf. Lautes Schlagen aufs Deck weckte uns. Es schien ein schlechter Traum. Doch das Klopfen war aggressiv und wiederholt. Ich steckte den Kopf aus dem Niedergang. Platz machen für die einlaufende Fähre! Im Schlafanzug warfen wir die Festmacher los, holten den Anker mit halboffenen Augen ein und verholten uns mit bösem Kater an den Liegeplatz, den wir am Abend zuvor zuerst angelaufen hatten. Dass Seeleute fluchen können, weiß jederman. Die Flüche, die wir an diesem Morgen durch unsere ungeputzten Zähne entfliehen ließen, die waren selbst in der Hölle neu.
Eine Tasse Kaffee und zwei Croissants später war die Stimmung wieder wie die Sonne – über dem Horizont. Solch ein Tag ist zum Segeln da. Also auf ins Kielwasser der Galeeren und ab nach Ventotene. Diese Insel bildet mit der Isola di Stefano eine Zwiegestirn und wir fanden sie auf südöstlichem Kurs. Das alte römische Becken des Kriegshafens wird direkt neben dem Leutturm angelaufen. Wir legten uns in den neuen Hafen keine 50m daneben. An der zweihundert Meter lange Pier hatten wir die freie Auswahl. Nur zwei weitere Segler verbrachten die Nacht hier. Wieder wurde es windig. Mir schlich sich nach den Anstrengungen des Vortages eine Migräne unter die Schädeldecke und zwischen die Augen. Die Crew sah sich herausgefordert, das Schiff mit Springs gegen das Rucken zu sichern. Sie lösten diese Aufgabe, indem sie den benachbarten Segler um Rat fragten.
In Ventotene darf die Kamera nicht an Bord bleiben. Nicht ohne Grund haben sich auf diese Insel manche Stars und Sternchen zurück gezogen. Das Städtchen ist einfach malerisch. Die Türen, mit denen die Fischer die einstigen Arsenalhallen verschließen, sehen beispielsweise so aus, wie rechts abgebildet. Aber auch die Treppen, die in den Ort hinauf führen, der Leuchtturm, und die von den Römern durchlöcherten Ufersteine fragen danach, auf Photos nach hause gebracht zu werden, damit man dort von ihnen erzählt.
Wasser gibt es keines aus Quellen auf der Insel. Gr0ße Tankschiffe bringen es von Neapel, denn seit dem es Touristen auf der Insel gibt, reicht das in Zysternen aufgefangene Regenwasser nicht mehr aus, um alle Wünsche zu befriedigen.
Prodotti locali. Früchte und Produkte aus eigenem Anbau und eigener Herstellung bot uns ein Eingeborener an. Er erzählte uns von den Schwierigkeiten, hier zu überleben. So manche nette Story hatte er über den Briefträger der Insel zu berichten, der lange der einzige war, der lesen konnte. Er brachte nicht nur die Briefe, er musste sie auch vorlesen und die Antwortschreiben im Diktat aufnehmen. Eine Insel ohne eigenes Wasser und ohne Schreibfähigkeit. Aber ausdrucksstark und zäh wie alle, die am Rande der Welt leben.
Durch den Canale di Procida – erstmals ein Stückchen, das Navigation erforderte – gings in den Golf von Neapel. Der mächtige Felsen Felsen mit dem Castello Aragones wies uns den Weg zu den schönen Ankerplätzen. Die Strände von S. Angelo luden uns ein, neben einem anderen Ankerlieger zu verweilen. Schnell war das Dinghi wieder gewassert und ein Spaziergang am Strand half uns, die Beine zu vertreten. Doch warum war der Strand nach Sonnenuntergang noch so warm? In geringer Tiefe war er geradezu heiß. Die tektonische Aktivität der Region erinnerte uns an die Nähe zum Vesuv. In Pozzuoli verschwindet die Kaimauer des Hafens in einigen Jahren unter der Wasseroberfläche, um Monate später wieder 50cm hinaus zu ragen. So sehr ist die Erde hier in Bewegung. Um so fruchtbarer ist der Boden. Die Vegetation in S. Stefano lud uns zum Verweilen und Bewundern ein. Wir drehten unsere Runden, bzw. stiegen die Treppchen berauf und bergab. Wir fragten uns, wie hier die Hotels ihren Müll los werden. Doch die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und kam uns auf vier Hufen entgegen. Der Esel tut hier noch seinen Dienst bei den vielfältigen Aufgaben der Stadtdiener.
Der Stadtrundgang schenkte manch schönen Ausblick auf Gärten voller Palmen, aufs Meer, auf die im Zickzack herauflaufenden Gassen, auf die Fliesen, die Wege, gemauerte Geländer und von oben einsehbare Dachterrassen zierten.
Dann brummte der Außenborder und brachte uns auf die „Lilly“ zurück. Dort packten wir unsere Beute, Melonen, weiße Pfirsiche, luftgetrockneten Schinken aus und machten uns zu einer Flasche Vermentino darüber her.
So gesättigt ließen wir den Abend kommen und seine Sternendecke über uns und allen ausbreiten. Das nächtliche Meer lud uns zu einer verschwiegenen Viertelstunde im lauwarmen und phosphorizierenden Wasser ein. Damit das Salz nicht zu sehr im Bette kratzt, war das letzte Geräusch des Tages das Plätschern der Decksdusche.
Die Versuchung war groß, die Frühstückseier im nahen Strand in geringer Tiefe zu kochen. Doch die durch das morgendliche Dorf streunenden Hunde und ihre Aktivitäten am Strand ließen uns dann Abstand von diesem Unterfangen nehmen. Kaum waren die Hunde weg, kamen die Hoteldiener und bauten die Liegen für den Tag auf …
Wir lichteten den Anker und machten uns davon, denn der Wind kam aus gesegneter Richtung. Es wurde überhaupt der schönste Schlag des ganzen Törns. Leicht vorlicher als halber Wind. Die Segel standen einwandfrei, zogen spürbar willig. Die Selbststeueranlage mochte den Kurs. Das Boot fuhr wie ein Raumschiff auf dem Leitstrahl von Ischia nach Capri hinüber. Hier wurde voller Lohn für die Anstrengungen am ersten Nachmittag gezahlt. Und der Sonnenuntergang von Capri aus sollte uns den Tag noch vergolden. Da gab es doch mal ein Lied, das diesen Moment des Tages in dieser Region besingt… Die Marina von Capri nahm die Lilly freundlich auf und freuten uns über die Farbenpracht der Region. Wir schlenderten durch die Altstadt der Unterstadt, lifteten mit der Zahnradbahn in die Oberstadt, immer ein Auge auf den Stand der Sonne, denn den Moment, wenn die Sonne bei Capri im Meer versinkt, den wollten wir ja nun auf keinen Fall versäumen.
Die Bilder von diesem Moment habe ich bewusst nicht auf diese Site gesetzt. Denn schließlich soll der Tourismus weiter leben auf Capri. Und die Kamerahersteller. Und die Postkartenverkäufer auch.
Anders als bei uns ist auf Capri auch manches andere. Ein Moped nicht auf der Straße zu parken, sondern mal schnell im Friseursalon, scheint dort zum guten Ton zu gehören. Wir hatten kein Moped dabei, sonst hätten wir es auch mal versucht.

Auch die Katzen des Ortes hatten es uns angetan. Malerisch drappierten sie sich auf Dächer, kuschelten sich an Kamine oder räkelten sich auf Fensterbänken. Capri scheint der Katzenhimmel zu sein.
Wir ergatterten einen Sitzplatz auf einem kleinen Balkon und ließen die Sonne im Meer versinken. Der Leutturm des Hafens und etliche kleine beleuchtete Heiligenhäuschen wiesen uns den Weg zurück an Bord. Auch konnten wir den Hafen nicht verfehlen, denn das Ziel lag eindeutig immer nur bergab.
Die von unten angestrahlen Luxusyachten imponierten uns mächtig. Die Petroleumlampe in der „Lilly“ hatte aber auch ihren Charme und als sie uns das eigene kleine Reich illuminierte kehrte Frieden in unsere Herzen und ließ uns ruhig schlafen. Stunden nach dem Auslaufen querten wir wieder den Gold von Neapel und gnädiges Wetter ließ uns den Schicksalsberg der Stadt sehen. Wir schlichen uns aus dem aufregenden Becken. Wieder hindurch durch die Straße von Procida und richteten unseren Bug gen Gaeta.
Gaeta allein ist sicherlich eine Reise oder einen Urlaubsaufenthalt wert. Hingewürfelt liegen die Häuser an den Hängen des Stadtberges. Ocker, weiss, gelb, sand, malve, rot sind die Farben ihrer Wände. Ein mächtiges Hafenkastell bewacht die Ansammlung der Wohnstätten. Alles nach dem Wüten des WKII wieder aufgebaut. Der Stadthafen birgt nur Fischerboote außer den beiden, die unserem Vercharterer gehören. Eine Schar emsiger Helfer ist den heimkehrenden Booten zu Diensten. So finden wir unseren Platz wieder und genießen einen letzten Abend das Theater, das die allabendliche passegiata mit sich bringt. Nach Mitternacht ist die Uferpromenade noch voller Menschen, die vom Essen kommen. Fünfjährige springen zwischen den schlendernden Erwachsenen herum. Liebespärchen finden einen Platz auf der Mauer oder gar ein Bank mit Blick aufs Wasser. Die ganze Stadt ist um diese Stunde auf den Beinen.
Uns dagegen hat die Woche auf See geprägt und unsere Beine sind zu Seemannsbeinen geworden. Das läßt sich nicht verbergen, als wir wieder deutschen Boden unter den Füßen haben.
